Die Vermessung einer neuen alten Welt

Jonas Kellermeyer

»Jede Relation bringt eine Übersetzung oder
Verzerrung [der] Bestandteile [des Dings] mit sich.«

(Harman 2015: 69)

Was ist die Essenz der Identität? Was macht das Wesen eines Dings aus? Ist es der funktionale Kontext, in den es sich eingebettet sieht? Geht es um immanente Identitätsmarker? Oder doch viel eher um korrelationale Aspekte der Existenz? Dass wir Dinge stets nur mit direktem Bezug auf unsere jeweilige Lage »konstruieren«, wird an vielen Stellen der prozessualen Gegenwart deutlich: Solange ich keine Verwendung für ein bestimmtes Gerät bzw. für ein unbestimmt bleibendes Ding habe existiert es für mich auch nicht. Es mag dann zwar vorhanden sein, als physische Entität, über die ich stolpern kann, die Platz fordert, aber es ist, mit Martin Heidegger gesprochen, nicht zuhanden.

Meine einst so nützliche Lesebrille, die stets für den nötigen Durchblick sorgte, ist nun ein abstraktes Relief bzw. sie besitzt nun eine reliefhafte Qualität; diese wurde ihr abgerungen. Das Objekt, sprich: die Brille wurde der systematisch-berechnenden Logik des ausgesetzt, vermessen, entkernt und letztlich in eine »neue« nicht minder physische Form übersetzt, die, obwohl dies nicht den Anschein haben mag, fundamental zur Erfahrung der Brille dazugehört. Das Reliefhafte war also die ganze Zeit in der Brille angelegt, schlummerte als unaktiviertes Potenzial unter der soliden – mit sich selbst stets identisch scheinenden – Oberfläche und konnte nur deshalb zutage gefördert werden, weil die Maßgaben der maschinellen Wahrnehmung ihrerseits »frei drehen« durften, das menschliche Korrektiv weitestgehend auf die impulsgebende, beratende Rolle des Diskurspartners reduziert wurde. Was ich nun in der Hand halte, ist weniger ein Objekt als ein Prozess, dem ich mich durch die punktuelle Objektivierung lediglich heuristisch anzunähern vermag. Ein Prozess, der, so eine explizite These, einem menschlichen Beobachter ein Aus-sich-Heraustreten abverlangt, um verstanden zu werden. Von sich selbst zu abstrahieren, die maschinell induzierte Irritation auszuhalten, ist ein wichtiger Bestandteil des Verständnisses. Was aber bedeutet es, diesen Prozess zu verstehen? Wie ist es überhaupt möglich, meine eigenen alltäglich praktizierten Wahrnehmungsweisen über den sprichwörtlichen Haufen zu werfen, um einer differenten Vollzugslogik Vorschuss zu gewähren? Eine explizite These könnte lauten, dass das den Einstieg in den Prozess ermöglicht, der das Ding selbst ist.

Wie verhält es sich angesichts der zunehmenden Compu­tarisierung der Lebenswelt mit der Rolle des Menschen? Christian Doellers Arbeit CYTTER (bzw. das CYTTER.datalab) findet spielerisch neue Antworten auf die drängenden Fragen nach eigentümlicher Agency und nachhaltiger Deutungshoheit in techno-sozialen Machtgefügen. Die eingespeisten Objekte werden einer systemimmanenten Logik entsprechend vermessen, die von der menschlich-intuitiven Auffassung zum Teil gravierend differiert. Ein Farbcode verrät die Funktion der einzelnen Elemente: blau für , gelb für , rot für . Diese Farbcodierung ist insofern arbiträr gewählt, als sie nicht direkt mit der Funktionalität interferiert, sondern lediglich einem sich entfaltenden Narrativ auf Seiten des menschlichen Beobachters Vorschub leistet.

Die Identität von Objekten zeigt sich uns nur mit direktem Bezug auf unser eigenes Dasein. Einen Spielwürfel mit seinen sechs Seiten und den obligatorischen Augen erkennen wir als Bestandteil vieler Spiele, weil wir ihn situativ auf seine Funktion für unseren speziellen Vollzug zu reduzieren gewohnt sind. In vielfacher Hinsicht verschwindet ein konzeptuell gut eingebetteter Würfel hinter einem übergreifenden Narrativ. Müsste ich nun das Artefakt, welches ich in den Händen halte, nachdem es vom CYTTER übersetzt / verzerrt wurde, ebenfalls als Würfel bezeichnen? Oder hätte sich der etwaige Würfel mit der Dekontextualisierung selbst negiert? Die von mir eingegebene Brille sorgt jedenfalls höchstens noch im übertragenen Sinne für den nötigen Durchblick.

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Wo beginnt das Nichts? Es beginnt mit der Erwartung, der Erwartung eines (unbestimmten) Etwas. Gleichsam muss alles, was es zu erkennen gilt, zunächst definiert und kontextuell umrissen worden sein. Am Anfang des Erkennens steht also ein nicht minder komplexer Übersetzungsprozess, wie er sich im Rahmen von CYTTER exemplarisch ent-birgt. Aber von Anfang: Zunächst ein kleiner Abriss über die Bedeutung der fließenden Zeit sowie die Grundlage dessen, was im Verlauf dieses Essays als Übersetzung verstanden werden soll.

(Prä-)Historizität

Das Konzept der Übersetzung ist so alt wie das Leben selbst: der biochemische Vorgang der (Endo-)Symbiose kann als gleichbedeutend mit dem Angebot einer wechselseitigen Abhängigkeit von der einen Seite und dem Einverständnis der anderen, eine Verbindung dieser Art tatsächlich einzugehen, verstanden werden. Was sich schließlich entfaltet, ist eine grundlegende Kommunikation, bei der (optimalerweise) beide Seiten profitieren, zumindest aber beide Seiten nicht beeinträchtigt werden. (Vgl. Margulis 2018) Die Zusammenarbeit zweier (oder mehrerer) Moleküle beispielsweise kann in der Entstehung einer gänzlich neuen Entität münden, die ihrerseits einer differenten Logik folgt, »as when hydrogen and oxygen interact to form water.« (DeLanda 2011: 1) Diese Emergenzen haben ihren Ursprung im relationalen Geschehen. So ließe sich sagen, dass chemische Reaktionen und ihre respektiven »Endprodukte« wahrhaft ausnahmslos die fundamentale Bedeutung der Relation für das phänomenale Sein zum Ausdruck bringen.

Ähnlich verhält es sich auch mit den Objekten, die das Ausgangsmaterial für die prozessuale Installation des CYTTER.datalab liefern: diese (vermeintlich) eindeutig beschreibbaren, visuell klar zu erkennenden Objekte werden im Zuge der performativen Installation als bloße Momentaufnahmen eines viel weitreichenderen Prozesses ver(gegen)ständlich(t): Die Rede von »Startpunkten« und »Endprodukten« ist dementsprechend insofern lediglich eine (irreführende?) Heuristik, die es ermöglicht, eine Erzählung zu etablieren, welche sich entlang eines gewöhnlich linearen Zeitstrahls arrangiert. Über den (Um-)Weg der digitalen Genesis wird es möglich, sich dem drängenden Geheimnis der Existenz zu nähern; was es bedeutet, Dinge als das zu erkennen, was sie sind, geht letztlich immer einher damit, die kontextuell verfasste Deutungshoheit zu beanspruchen. »Es ist notwendig, dass das, was ist, auf irgendeine Weise bestimmt ist, damit es werden kann, und dann auf irgendeine andere Weise bestimmt ist. Dieses muss dieses sein und nicht jenes oder irgendetwas anderes, damit dieses jenes oder irgendetwas anderes werden kann.« (Meillassoux 2014: 99) Der Kontext, in dem ein Ding als solches sich zu präsentieren pflegt, ist also von einer grundsätzlichen Kontingenz durchdrungen, die mit einer kontinuierlichen Aktualisierung Hand in Hand geht, bei der die Übersetzung – als (noch nicht realisiertes) Potenzial – immer schon mitgedacht werden muss. Denn »wenn etwas ist, dann muss es kontingent sein.« (Ebd.: 102)

Anders und doch ähnlich stellt James Beniger (1986) in seinem Denken vor allem auf die Kontrolle ab, meint damit aber eine Form des intersubjektiven Prozessierens (von Daten) (die situative Überführung samt adäquater Anpassungen, sprich: Translation), die in ihrer Konsequenz zu jenem Ergebnis führt, das wir als ein Geflecht zum Zweck der (hierarchischen) Kontrolle zu interpretieren »gelernt« haben. Kontrolle, in Benigers Sinne, ist letztlich ein Weg, die Organisation von lebendiger Materie zu beschreiben. Dieses Prinzip des Lebendigen nun auf nicht-lebendige (in Grenzfällen sogar nicht-materielle) Akteure zu übertragen, ist ein relationaler Akt; eine Art Meta-Übersetzung.

»In dem Maße, in dem die Geschwindigkeit steigt und die ›Kontrolle‹ der Umwelt abzulösen sucht, ersetzt die Realzeit der Interaktivität endgültig den realen Raum der körperlichen Aktivität« (Virilio 2015: 134). Paul Virilios Sichtweise auf die Gegenwart als eines von (Prozess-)Geschwindigkeit bestimmten Sachverhalts kommt im Rahmen des CYTTER.datalab ebenfalls Bedeutung zu: so kommt etwa die Zeit, die sich das System nimmt bzw. nehmen muss, um zu einem Zwischenergebnis zu gelangen, einer Zeitlupe gleich, die eine besondere Reflexion auf die diskursive Konstruktion ermöglicht. Der Diskurs ist hierbei eine Aushandlung zwischen menschlich-profaner Sinnstiftung und techno-logisch vermessendem Sensing.

Der Ursprung der Lebens-Form der Gegenwart ist somit mehr denn je (gleichsam immer schon) in der Relation zu suchen. Das Verhältnis zwischen sozialer und technischer Realität sieht sich weitestgehend hybrid verfasst, sodass der Diskurs, den zu führen notwendig erscheint, als ontologisch relevant zu gelten hat. Ein anderes Verhältnis zwischen den beteiligten Akteuren hätte eine andere (physische) Ausgestaltung der Gegenwart zur Folge. Somit sind die von der objektorientierten Ontologie so zentral behaupteten Objekte lediglich Ausdruck eines bestimmten relationalen Zusammenspiels: Dass sie sich an ihrem jeweiligen Platz zu behaupten wissen, liegt maßgeblich an ihrer sich gegenseitig individuierenden Tendenz: einen wahrhaft individuellen Zustand können sie rein logisch niemals erreichen.

In Martin Heideggers Sein und Zeit finden sich folgende Zeilen: »Die Struktur des Seins von Zuhandenem als Zeug ist durch die Verweisungen bestimmt.« (Heidegger 1967: 74) Soll heißen: der Nutzen bestimmt sich maßgeblich durch die umweltlichen Parameter, denen das Zeug ausgesetzt ist, mit denen es interferieren kann/muss, um letzten Endes eine Nische zu finden, in der es seinen Effekt zu zeitigen weiß. Im Rahmen des CYTTER ändert sich die Bewertung von Vorhandenheit und Zuhandenheit insofern, als die generierten Datensätze das Eingangsobjekt zu »bloßer« Vorhandenheit verdammen, es gleichzeitig für das weitere Verfahren unter dem Vorzeichen einer ausgefeilten Techno-Logik als zuhanden rendern.

Sensing & Sense-Making /
Verhalten & Erfahrung

»Wir […] erfahren uns nur ›in der Zeit‹«
(Steiner 2014: 162).

Die Epistemologie der Sensoren bzw. (Aktor-)Sensorsysteme, also die Frage danach, wie diese die Welt wahrnehmen, sie mit (subjektivem) Sinn anreichern und so an der Genese der (menschlichen) Lebenswelt (gleichberechtigt) teilhaben, stellt sich im Angesicht einer weitgehend hybriden Gegenwart immer drängender. Im Gegensatz zu menschlichen Individuen, die sich ein konsistentes Narrativ entlang des linearen Zeitstrahls konstruieren, ist dieser Zusammenhang in Bezug auf technische Systeme keinesfalls so augenscheinlich. Das Prinzip der enzyklopädischen Datenbank, in der Raum- wie auch Zeitverhältnisse differente Bedeutungen erzeugen, ist der prominente Grundsatz eines digital strukturierten Zusammenhangs – und damit auch jener der technologischen Anteile der (Lebens-)Welt. (Vgl. Manovich 1999) Die Synchronisation zwischen diesen beiden fundamentalen Prinzipien, dem Narrativ und der Datenbank, ist ebenfalls auf mannigfaltige Übersetzungsprozesse angewiesen. Die so entstehende »Semiosphäre« – auf Seiten des menschlichen Verstehens – ist dabei nach Juri Lotman (1990) als ein konstant hybrider Zustand – ein wahrhaftes »Kontinuum« – zu verstehen, in dem Bedeutungen zu oszillieren pflegen und in dem keine Statik ausgemacht werden kann: alles verbleibt letztlich in einer ursprünglich relationalen Prozesshaftigkeit. CYTTER veranschaulicht diesen Sachverhalt eindrucksvoll: es ist stets möglich, noch eine weitere Feedbackschleife einzupflegen, die Übersetzung noch extremer zu rendern. Keine zwei Übersetzungen gerieren sich gleich; nicht einmal die des CYTTER. Die »Sollbruchstellen« – vor allem die verschleißanfällige Low-Tech-Anteile des technischen Systems sorgen für ein gewisses Maß an vollzugsorientierter Kontingenz, die dafür Sorge trägt, dass sich keine zwei Ergebnisse absolut gleich ausnehmen. Man hat es immer mit Unikaten zu tun, wenngleich das respektive Ergebnis nicht völlig arbiträr daherkommt, soll heißen: einem nachvollziehbaren Pfad folgt.

Der subjektive Bezug der Nutzung von Information, ruft u. a. auch das »Sense-Making« auf den Plan. Einmal akquirierte Daten vielseitig nutzbar zu gestalten, bedeutet immer auch, sie mit (subjektivem) Sinn anzureichern. Die enge Verbandelung von »action« und »meaning« (vgl. Dourish 2001: 107 f.) ist Garant für eine Entwicklung, die als »Fortschritt« Geltung zu beanspruchen vermag. Sense-Making besitzt auch und gerade eine zeitliche Komponente, die letztlich auf ein konsistentes Narrativ rekurriert: gemachte Erfahrungen werden zur Grundlage, auf der wiederum neue Informationen kategorisiert und eingepflegt werden können. Gleichsam führen die neuen Daten auch immer das Potenzial mit sich, diese Grundlage zu erschüttern, sodass eingeteilt werden kann in eine Zeit vor und eine nach dem jeweiligen Sense-Making-Prozess. Sense-Making sieht sich somit eng mit dem Topos der Interpretation verbunden, der wiederum einen wichtigen Bestandteil der (gelingenden) Übersetzung darstellt. Interpretation kann damit verstanden werden als »making narrative sense of what one is supposed to be up-to-date with.« (Couldry & Hepp 2017: 114). Wenn ich die beiden situativen Enden der ausschnitthaften Prozesssequenz des CYTTER.datalabs (resp. meine Brille und das Relief) zueinander in Beziehung zu setzen suche, bin ich als Mängelwesen Mensch darauf angewiesen, mir eine Interpretation in Form einer Geschichte zu überlegen. Die heuristische Kürze der Sequenz ist deshalb so aufschlussreich, weil sie eine verständlich konsistente Erzählung (in der Zeit) zulässt. Je verworrener ein Sinnzusammenhang aufbereitet wird, desto wahrscheinlicher treten Verständnisprobleme auf, die bis zur Resignation reichen können: »To the extent that we lack ways of making sense of [the temporal] change (of configuring it with our other ways of making sense of the social world), a problem of figurational order arises.« (Ebd.: 120)

Die Übersetzung hat auch deshalb einen prominenten Platz in Bezug auf die Relation, weil sie einen notwendigen Teil der symbolischen Interaktion darstellt. Die Antizipation, die beim Gebrauch symbolisch verfasster (medialisierter) Kommunikation vonnöten ist, bedarf der (mindestens) zweistufigen Translation: zunächst muss ein situativer Soll-Zustand definiert, anschließend der Weg dorthin in decodierter Form übermittelt werden; dabei ist die Wirkung der eingegebenen »Daten« beim Empfänger stets mitzudenken. Eine erste Übersetzung. Schließlich gilt es, die Evaluation der Effekte korrigierend auf den initialen Input wirken zu lassen; das ist die zweite Übersetzung, an die sich sukzessive mehrere solcher iterativer Zyklen anschließen lassen.

Wahrnehmen heißt in diesem Sinne immer auch eine fundamentale Unterscheidung zu treffen, Unterscheidungen zwischen Affordanzen, die zeitgleich und kontingent zueinander existieren. Diesbezüglich sind Mensch und technisches System einander sehr ähnlich: ein technischer Sensor kann einen qualitativen Unterschied im Hier und Jetzt kommunizieren, ähnlich wie die Rezeptoren des menschlichen Körpers aktuelle Daten aus der Umwelt zum Gehirn weiterleiten. »[D]er Geist funktioniert nicht anders als eine Rechenmaschine«, heißt es mit direktem Bezug auf das Werk Edmund Husserls bei Merleau-Ponty (1966: 34). Was auf den ersten (naiven) Blick zu stimmen scheint, entpuppt sich bei näherem Hinsehen jedoch als eine fatale Fehleinschätzung: wo beim Menschen der Sense-Making-Prozess hilft, das Wahrgenommene in ein (sinnstiftendes) Narrativ zu überführen, das ihm dabei hilft, sein Verhalten in relativer Resonanz zum zuvor Erfahrenen zu adjustieren, da steht auf Seiten der Technik die rein enzyklopädische Aufnahme der Datenpunkte; eine übergeordnete Zeitlichkeit sucht man mit Bezug zum maschinellen behavior vergebens. (Mechanisches) Verhalten ist letztlich auf eine (reine) Beobachtungsleistung von außen angewiesen, wohingegen die (sinnliche) Erfahrung eine zeitlich-relationale Komponente besitzt, die auf das reflexive Geistesleben abhebt. Auf deren Grundlage fußt jene Antizipation, die wiederum ein sich notwendig änderndes Verhalten beeinflusst.

Griffigerweise wird der Sense-Making-Prozess vor allem von McCarthy & Wright (2004) und Wright et al. (2008) in sechs diskrete und doch maßgeblich aufeinander bezogene Phasen aufgeteilt, als da wären: 1. Anticipating, 2. Connecting, 3. Interpreting, 4. Reflecting, 5. Appropriating, 6. Recounting. (Vgl. McCarthy & Wright 2004: 124 ff.) Diese Form des (menschlichen) Sense-Makings ermöglicht es den (sozialen) Subjekten, ihre Erfahrungen in ein Narrativ einzubetten und so in einen zirkulären Lernprozess einzutreten, bei dem die jeweiligen Stufen in direkter Beziehung zueinander stehen und sich so wechselseitig zu bedingen wissen.

Ob ich meinen dem CYTTER ausgesetzten Gegenstand noch erkenne, nachdem er die Installation durch­laufen hat, hängt maßgeblich davon ab, wie sehr ich mich auf die Vollzugslogik einzulassen bereit bin. Letzten Endes bleibt es nebensächlich, ob ich das immanente Regelwerk des CYTTER vollständig verstehe; die Narration, die sich auf der Grundlage dieses digital-kulturellen Phänomens niederzuschlagen weiß, ist die notwendige Baseline – der Grundton –, um einen Prozess des Sense-Makings aufzudecken, wie er so auch in Situationen alltäglicher Wahrnehmung immer am Werk ist.

Wie das initiale Zitat Graham Harmans bereits anzudeuten vermochte, geht es bei dem, was die wahrnehmbare Welt als solche ausmacht, um einen Diskurs zwischen den Dingen: »Maßgeblich für alles ist […] der Streit zwischen verborgenen Objekten und den verzerrten oder übersetzten Formen, in denen sie anderen Objekten [so auch Menschen, J. K.] erscheinen.« (Harman 2015: 148) Auch, wenn die objektorientierte Ontologie (OOO) einige Mängel aufweist, so etwa die Unart, Objekte an den Anfang zu stellen und Relationen stets nur auf diese zu beziehen anstatt, im Gegenteil, Objekte aus relationalen Prozessen hervortreten zu lassen, erscheint es dennoch äußerst fruchtbar und konsequent, sowohl Verzerrung als auch Übersetzung ihren prominenten Platz einzuräumen – wenngleich mit einem differenten Impetus.

Wo im alltäglichen Zusammenhang gilt: »›Data‹ must be rendered ›actionable‹ […], which means selecting and excluding, ›rul[ing] out, render[ing] invisible, other potential futures‹« (Couldry & Hepp 2017: 136), da müssen im Rahmen der künstlerischen Forschung, wie sie durch das CYTTER.datalab exemplarisch vorliegt, mehrdeutige Alternativen als Fluchtpunkt gedacht werden (können). Wo die flüchtige Domäne des Sozialen in eine objektive Datenform gebracht werden soll, da besteht auch immer die Möglichkeit der Missinterpretation bzw. die Gefahr der Miss- oder gar der situativen Unverständlichkeit. (Vgl. ebd.: 131) Es kann bei einer emanzipatorischen Praxis somit nur darum gehen, diese Momente der Nicht-Funktionalität aufzuspüren und sie in reflexiv-produktiver Manier gegen die (westlich / eurozentrische) Idee der absoluten Objektivität zu stellen. Und genau dieser Sachverhalt wird durch die Zuspitzung des CYTTERso prägnant angegangen. Unsere alltägliche Wahrnehmung wird auf den Prüfstand gestellt, sie wird mit einer technozentrischen Art des Sensing konterkariert, auf dass geronnene Perzeptionsweisen aufgebrochen werden und die konstruierten Anteile unserer gemeinsamen (Lebens-)Welt erneut als aktive Potenziale in den Diskurs eingespeist werden können.

»Worte wie ›Berührung‹ oder ›Bewegung‹ sind für Menschen gemacht […], für Menschen und ihre Menschenwelt und ihre Menschenkörper« (Krafft 2020: 57). Ein System, wie es durch den CYTTER abgebildet wird, erschafft hingegen zwangsläufig seine eigenen idiosynkratischen Zugangsweisen zur Welt bzw. es weltet in differenter Form. Und durch diese sich exemplarisch entfaltende Kontingenzerfahrung ist es eben möglich, die eigenen, scheinbar selbstverständlichen, Wahrnehmungsweisen fluide werden zu lassen, sie auf den Prüfstand zu stellen, auf dass ein neues ökologisches Bewusstsein sich zu entfalten vermag.

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